Wirtschaft neu denken

Covid-19 hat und die daraus resultierenden Maßnahmen haben uns gezeigt, wie anfällig (oder besser: wie unflexibel) unsere Wirtschaftssysteme sind. Die langfristigen Folgen sind noch kaum absehbar. Dabei brauchen wir jetzt ein ziviles Gemeinwesen mehr denn je. Wir glauben: Jetzt ist die Zeit Wirtschaft neu zu denken!

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Es sind besondere Zeiten, für viele sogar bedrohliche Zeiten. In erster Linie natürlich für die Gesundheit s.g. Risiko-Gruppen, in zweiter Linie vor allem für die vielen Solo-Selbstständigen, Kleinunternehmer*innen und Mittelständler*innen, die oftmals rücklagenlos von Monat zu Monat wirtschaften. Nicht zu vergessen sind auch die Großunternehmen, die für sehr viele Menschen Arbeitsplätze schaffen. Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise sind kaum abzuschätzen.

Szenarien gibt es viele. Dass unser Finanzsystem auch ohne Corona auf eine weitere Krise zusteuert ist zumindest unter Expert*innen schon seit längerem ein Thema.  Nicht außer Acht zu lassen sind selbstverständlich auch die Auswirkungen auf unsere Umwelt. Aus der Perspektive der Postwachstumsökonomie ist die Krise eine große Chance. Schließlich sind die Degrowth-Potentiale schon jetzt an manchen Stellen sichtbar. 

Nun stellt sich die Frage, wie man mit beiden Phänomenen umgeht. Ist die Krise vielleicht eine Chance um nachhaltige Wirtschaftsmodelle zu entwickeln, die auch über die Corona-Pandemie hinaus bestand haben? 

Aus unserer Perspektive sollten solche Modelle eine krisenfeste Form des Wirtschaftens ermöglichen: Möglichst alle sollten zu jeder Zeit grundabgesichert sein. Gleichzeitig muss die Arbeitswelt flexibel genug bleiben, um auf unvorhergesehene Ereignisse reagieren zu können. Außerdem sollten gemeinwohlorientierte Formen des Zusammenarbeitens möglichst schnell, unkompliziert und schuldenfrei mit Kapital ausgestattet werden, um solidarische Projekte mit klimapositiven Effekten in eine langfristig tragfähige Form zu bringen.

Soforthilfe, Kredite, Eurobonds, Helikoptergeld, Unternehmens- und Staatsanleihen.

Ob und inwiefern staatliche Hilfe-Maßnahmen nachhaltig greifen lässt sich gegenwärtig kaum sagen. Wenn dann können wir sie bisher nur in mikroökonomischen Effekten bewerten. Zentral bei all den bisher entwickelten Maßnahmen ist eins: Die Liquidität bei allen Marktteilnehmer*innen soll aufrechterhalten werden, ohne dass dabei vollumfänglicher Handel stattfindet. Das ist zwar als kurzfristige Reaktion ein scheinbar sinnvolles Vorgehen, wird innerhalb der Geldschöpfungs- und Investmentlogik mittel- und langfristig allerdings einen nicht underheblichen Schuldenberg und Verbindlichkeiten erzeugen. Zu diskutieren ist also nicht nur, ob Soforthilfemaßnahmen bei den Bürger*innen fair und unbürokratisch ankommen und damit die Grundversorgung gewährleistet ist (mikroökonomische Betrachtung), sondern auch woher das Geld für diese Hilfemaßnahmen kommt, wer dafür haftet und welche Effekte diese Geldbeschaffung langfristig für Staatskassen und die Realwirtschaft haben wird (makroökonomische Betrachtung). 

Darüber könnte man vermutlich ein ganzes Buch schreiben. Für den Moment soll uns die Information genügen, dass das zur Verfügung gestellte Geld maßgeblich durch Staats- und Unternehmensanleihen finanziert wird. Das bedeutet, dieses Geld muss zurückgezahlt werden und zwar an Banken und Investoren. Und die wollen Rendite. Für die Realwirtschaft bedeutet das, es muss in Zukunft mehr umgesetzt werden. Für den Staat bedeutet das, er muss mehr Steuern einnehmen, Ausgaben an anderer Stelle streichen oder ein Stück seiner Bonität einbüßen. Das ist erstmal sehr vereinfacht. Wirft man zusätzlich noch einen Blick  auf den Anleihenmarkt, stellt man fest, Unternehmens- und Staatsanleihen unterliegen einer radikalen Entwertung. Ein ziemliches Handgemenge also, bei dem viele Existenzen von den Gewinn- und Verlust Rechnungen weniger am Finanzmarkt aktiver Akteur*innen abhängig sind. Wozu das führen kann, hat uns die Finanzkrise seit den Jahren 2007/08/09 sehr eindrucksvoll gezeigt.

Das bedingungslose Grundeinkommen

Auf diesem Hintergrund blüht eine alte Debatte neu auf. Ob nur vorübergehend oder als grundständige staatliche Auszahlung, ob 500.- oder 1000.- €, ein bedingungsloses Grundeinkommen würde für viele Kapitalbenachteiligte mit Sicherheit bedeuten, aufatmen zu können. Spaniens Regierung geht inzwischen soweit das bedingungslose Grundeinkommen auch über die Krise hinaus als Versprechen zu artikulieren. Ungeklärt bleibt nach wie vor, wie es finanziert werden soll. Weitere Staatsanleihen, also Schulden (wie oben beschrieben)? Finanztransaktionssteuer? Spätestens hier scheiden sich die Meinungen der Expert*innen. 

Ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre sicherlich eine enorme Entlastung. Gleichzeitig muss man sich aber auch die Frage stellen, ob es lediglich das ist, was wir brauchen, um grundabgesichert und zukunftsfähig leben zu können. Oder ob es mehr unternehmerische Impulse hinzu einem zivil getragenem Gemeinwesen und einer nachhaltigen Form des Wirtschaftens bedarf. Reicht es also, wenn einfach alle Geld bekommen, um weiter zu machen wie bisher?

Ein bedingungsloses Grundeinkommen hätte den kurzfristigen Effekt, dass alle Marktteilnehmer*innen konsumfähig bleiben, aber würde es auch neue Unternehmensformen hervorbringen und uns dazu anleiten sozialverantwortlicher, ressourcenschonender und regionaler zu produzieren und zu konsumieren? Diese Frage können wir aktuell leider nur unbeantwortet lassen. Dennoch lassen wir uns zu einer Vermutung hinreißen: Ein bedingungsloses Grundeinkommen hätte den primären Effekt, dass mehr konsumiert wird. Verhaltensökonomisch jedoch hätte es kaum eine direkte Auswirkung auf die Art und Weise der Produktion und des Konsums. Ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre also allenfalls eine gute Begleitmaßnahme für das, was wir eigentlich brauchen: Ein zivil getragenes Gemeinwesen mit so vielen kostenneutralen Angeboten wie möglich. 

Das zivile Gemeinwesen

“In der Not ist plötzlich alles möglich” – Das dachte ich schon bei dem Oderhochwasser im Jahre 2010. Die Not macht den Menschen erfinderisch, solidarisch und irgendwie auch ein bisschen anarchistisch (im postmodernen Sinne). Es wird eben angepackt, wo Hilfe benötigt wird. Allein das, was ich in den letzten vier Wochen in Hannover beobachten konnte ist bemerkenswert. Die Dichte von neu entstehenden Hilfsinitiativen ist enorm: Einkaufs-, Nachbarschafts- und Obdachlosenhilfen, Beratungs- und Seelsorge-Angebote, Plattformen und Fördermaßnahmen. Es ist wirklich erstaunlich, was plötzlich möglich ist. 

Dabei sind die meisten Probleme, die gelöst werden, nicht wirklich neu. Ältere Mitbürger*innen brauchten auch schon vor der Krise Hilfe beim Einkaufen. Geteilte Ressourcen in Nachbarschaften und solidarische Hilfe im Quartier sind schon länger explorative Methoden, um das städtische Leben sozialverträglicher und umweltschonender zu gestalten. Auch Obdachlose und Obdachlosenhilfen gab es bereits, ebenso Förderprogramme, Informations- und Koordinationsplattformen in all diesen Bereichen. 

Neu ist lediglich das gemeinsame Problem, mehr Zeit für Ehrenamt und natürlich die hochskalierten Effekte dieser eben genannten gesellschaftlichen Herausforderungen. Es ist so, als ob all das Ungesehene plötzlich sichtbar wird und alle ein bisschen mehr Zeit haben als sonst, um nicht nur zuzusehen, sondern anzupacken. 

Das zivile Gemeinwesen hat Hochkonjunktur. Und dennoch fehlt es oft genug an qualifizierter und verbindlicher Mitarbeit, an Ressourcen und vor allem an langfristigen Perspektiven. Perspektiven, die selbst Förderprogramme nicht bieten können.

Glokalisierung und resiliente regionale Versorgung

Kurz zu den Begriffen. Unter Glokalisierung versteht man in erster Linie die Effekte, die auf globale Prozesse zurückzuführen sind und vor allem lokal bzw. regional sichtbar werden. ‘Resilient’ meint Widerstandsfähig. Mit einer resilienten regionalen Versorgung ist also eine widerstandsfähige regionale Versorgung, also eine regionale Ökonomie, die unabhängig vom globalen Markt die Grundversorgung gewährleistet, gemeint. 

In einer Presseinformation vom 5.April 2020 fasst der Ernährungsrat Köln das Problem stellvertretend für zahlreiche deutschsprachige Ernährungsräte wie folgt zusammen:

“Vietnam hat vergangene Woche den Export von Reis gestoppt, um in diesen unsicheren Zeiten zunächst die Versorgung der eigenen Bevölkerung zu sichern. Werden weitere Länder folgen? Mehr als die Hälfte der Lebensmittel in Deutschland wird importiert. Jetzt zeigt sich, dass es hoch riskant ist, dass wir uns immer mehr auf den Weltmarkt verlassen, und immer weniger regionale Lebensmittel essen. Nur 10 Prozent der Angebote im Einzelhandel kommen noch aus der Region, 90 Prozent hängen von der „Just in Time“ Logistik der Großhändler und Importeure ab.”

Wir wollen damit nicht sagen, dass es überhaupt keinen globalen Handel mehr geben sollte. Dennoch gilt es einmal mehr darüber nachzudenken, wie wir unsere regionale Versorgung gestalten wollen, wenn wir nachhaltig und krisenfest wirtschaften wollen. Regionale Versorgung ist nicht nur unabhängiger von Glokalisierungseffekten, sie ist schlichtweg ressourcenschonender: Lieferwege sind kürzer, Bedarfe können besser ermittelt werden, Kreisläufe können effektiver identifiziert und ausgenutzt werden.

Innovationspotential und Sozialunternehmen

Dass ein Virus uns dazu animiert unkonventionelle Wege zu gehen, empfinden wir als positiv. Eine Bundesregierung, die einen dezentralen Hackathon veranstaltet? Großflächige Förderprogramme für Sozialunternehmer*innen? Wir Vs. Virus? Warum nicht 'Wir Vs. Altersarmut'? Oder 'Wir Vs. Klimawandel'? Und warum eigentlich gegen irgendwas und nicht für etwas?

Fakt ist, wir brauchen für viele gesellschaftliche Herausforderungen neue Wege. Man kann dabei nicht leugnen, dass Unternehmertum ein wahnsinniges Innovationspotential mit sich bringt und gesunder Wettbewerb unter Unternehmer*innen dazu führen kann, das Beste aus einer Idee rauszuholen. Gleichzeitig darf man nicht vergessen, wie schwer es ist ein Unternehmen aufzubauen dessen Zielgruppe kaum oder sogar kein Kapital besitzt, um sich ein Produkt oder eine Dienstleistung leisten zu können.

Dabei geht es in gemeinwohlorientierten Bereichen oftmals nicht um kostspielige Infrastruktur, sondern vor allem um Personalmittel. Ehrenamt wurde so zu einem gesellschaftstragenden Bestandteil unserer Lebenswelt, weil es für gemeinwohlorientierte Arbeit kein angemessenes oder sogar flächendeckendes Vergütungskonzept gibt.

Nachhaltige Zusammenarbeit muss man sich leisten können

Fassen wir zusammen: Durch einen unvorhersehbaren Vorfall, also einen neuartigen Virus, können wir vorhandene Geschäftskonzepte (wenn vielleicht auch nur kurzfristig) nicht aufrechterhalten. Viele Menschen bleiben so ohne Einkommen, sind unterbeschäftigt oder müssen vielleicht sogar Konkurs anmelden. Gleichzeitig braucht es ziviles Engagement mehr denn je. Bisher als verlässlich angesehene Versorgungsketten könnten abbrechen (sind es in manchen Teilen der Welt sogar schon). Und Ideen für den Umgang mit der neuen Herausforderung werden (vor allem im sozialen Bereich) dringend benötigt.

Es wird Zeit Wirtschaft neu zu denken. In dem von uns vorgeschlagenen Modell wäre allen geholfen: Unternehmer*innen und Projekt-Initiator*innen könnten sich für neue Ideen Personalmittel durch die Community schaffen lassen. Durch das Wegbleiben von Schuld und Zins sind sie nicht zwangsweise auf Einnahmen oder zumindest nicht auf viele Einnahmen angewiesen. Regionale Versorgung könnte so viel schneller und effektiver aufgebaut werden. Und ein solidarisches Einkommen würde potentiell alle absichern. All das wäre sogar nachhaltig möglich und es könnten noch ganz andere Herausforderungen aus unternehmerische Art gelöst werden. Zu viel konjunktiv?

Wir fangen einfach mal an.